Ihr Lieben,
heute haben wir einen für uns ganz besonderen Beitrag für euch in unserer Rubrik #derkraichgauistmehr
Alles begann mit dem folgenden Satz „Ihr müsst euch unbedingt mit Ottmar Lehmann unterhalten. Er ist das lebende Gedächtnis von Waibstadt“.
Und genau das haben wir getan. Wir durften Ottmar Lehmann besuchen und in seinem Büro seinen Geschichten über Waibstadt lauschen. Die Begrüßung lautete „Ich kanns euch gleich sage, meine Geschichte passt aber net ganz mit der von der Stadt überein.“
Solltet ihr die Gelegenheit bekommen, Ottmar Lehmann live zu erleben, dann nutzt diese! Sein Wissen über Waibstadt und den gesamten Kraichgau ist beeindruckend und die Art und Weise wie er berichtet, einmalig.
Seine Aufzeichnungen reichen zurück bis zur ersten Erwähnung von Waibstadt als Siedlung an der Mündung von Krebsbach in Schwarzbach.
Wir sind mit ihm im Laufe des Gesprächs auf das Ende des zweiten Weltkriegs zu sprechen gekommen, welches er selbst als Junge miterlebt hat. Das was in Waibstadt zum Ende des Krieges passiert ist, hat uns so in den Bann gezogen, dass wir mit ihm vereinbart haben, darüber zu schreiben.
Das was ihr nun lest, basiert auf den Erinnerungen und Aufzeichnungen von Ottmar Lehmann und ist von ihm auch freigegeben worden.
Wir schreiben das Jahr 1945.
Die Front rückt immer näher und es ist nahezu jedem klar – es wird keinen Sieg mehr geben. Ständig ziehen Truppen vorbei, in einem nicht vorstellbaren Zustand – die Soldaten sind wenn überhaupt oftmals nur noch in der Lage am Stock zu gehen, Pferde brechen mitten auf der Straße zusammen. Inmitten dieser letzten Kriegstage wird die Erstkommunion auf Gründonnerstag vorgezogen, da die amerikanischen Truppen bereits vor Ludwigshafen stehen. Diese friedliche Feier inmitten der Unruhe des Krieges wirkt wie ein Moment des Stillstands.
In der Nacht von Karsamstag auf Ostersonntag ist an Schlaf dann kaum mehr zu denken. Zwischen Meckesheim und Eschelbronn werden Kämpfe gemeldet, die meisten Waibstadter verbringen die Nacht im Keller und nur wenige besuchen den Gottesdienst am Ostersonntag.
In diesen letzten Kriegstagen setzt sich Anton Hofherr, Bürgermeister von Waibstadt, unerschrocken für Waibstadt ein. Für ihn steht die Rettung von Waibstadt im Mittelpunkt. So sorgt er dafür, dass bei der angeordneten Brückensprengung die Häuser unversehrt blieben und vor allem tut er alles dafür, dass auch die letzten Soldaten vor dem Eintreffen der Amerikaner Waibstadt verlassen. Und es gelingt ihm!
Die deutschen Militäreinheiten hatten eigentlich beschlossen Waibstadt zu verteidigen. Aber genau das wäre der Untergang gewesen, das war Anton Hofherr klar. So übermittelt er den Offizieren im Waibstadter Hof den fingierten Befehl, dass alle Truppen in das Gebiet bei Neckarelz am Neckar zusammenrücken sollen. Niemand der Offiziere überprüft diese Meldung und so ziehen bis Ostermontag 2 Uhr alle deutschen Truppen aus Waibstadt ab – gerade noch rechtzeitig!
Denn am Ostermontag um 9Uhr10 fahren die ersten Panzer den Berg von Epfenbach kommend runter in die Stadt. Dem Bürgermeister werden drei Fragen gestellt: „Sind noch deutsche Soldaten hier? Wird die Stadt verteidigt? Ergibt sich Waibstadt?“ Die Antwort lautet: „Ich füge mich der Gewalt“. So wird sofort eine weiße Flagge auf dem Kirchturm gehisst und alle Häuser weiß beflaggt. Die Waibstadter können aufatmen und ahnen gleichsam nicht, welche Schreckensherrschaft auf sie wartet.
Und genau diese Aussage von Ottmar Lehman ließ uns direkt nachfragen. Wie Schreckensherrschaft? Waibstadt war doch befreit worden? Was passierte da? Ottmar Lehman berichtete uns dann von einer Zeit voller – für uns heute – unvorstellbarer Gewalt. Lest selbst.
Mitten in diesen ersten Tagen der amerikanischen Besetzung taucht Maurice Thomas in einem schwarzlackierten Wagen mit französischer Flagge auf. „Ich bin Lagerkommandant der hier lebenden Ausländer“ stellt er sich vor. Das ist der Beginn einer schier nicht vollstellbaren Zeit der Gewalt. Aber das ahnt in dem Moment niemand. Im Auftrag der Militärregierung besetzt er die Villa Roster und zieht aus der ganzen Umgebung polnische und russische Männer zusammen und sorgt für ihre Unterbringung. Dafür werden nach und nach Häuser beschlagnahmt, Lebensmittel den Einwohnern weggenommen und das Vieh aus den Ställen ebenfalls.
Ein Rivale aus Eschelbronn stellt Maurice Thomas, genannt „Mori“ im Rathaus. Mori gewinnt diesen Kampf, zeigt den Rivalen bei der amerikanischen Regierung an und behauptet, dass Waibstadt noch voller SS stecke. Aufgrund dieser Behauptung ist der 08. April 1945 der nächste Schicksalstag für Waibstadt. Denn die amerikanische Militärregierung umstellt Waibstadt und alle Männer zwischen 15 und 70 Jahren müssen sich auf dem Marktplatz einfinden. In der Mitte wird ein Maschinengewehr aufgebaut. Frauen und Kinder weinen, es herrscht eine unvorstellbare Angst. Über 100 Männer werden abtransportiert, der Pfarrer darf wenigstens noch Essen, Kleider und Decken den Männern reichen, bevor diese zum Verhör nach Mosbach gebracht werden. Aber nicht nur das Mori durch diese Falschaussage dafür sorgt, dass 100 Männer in Mosbach verhört werden (fast alle kehren unversehrt ein Tag später zurück), nein, er sorgt auch dafür, dass der bisherige Bürgermeister abgesetzt wird.
Stattdessen wird der Lumpensammler Fehl eingesetzt. Josef Fehl wurde am 5. September 1898 in Obergimpern geboren, war ab 1931 in Waibstadt gemeldet und mit einer Zigeunerin verheiratet. Er wanderte 1932 nach Chicago aus, saß dort im Gefängnis Sing-Sing, wurde 1936 abgeschoben und ab 1937 wieder in Waibstadt gemeldet. Durch seinen Aufenthalt in den USA hat er aber einen Stempel mit amerikanischer Staatbürgerschaft. Und deshalb wird er von den amerikanischen Truppen als Ortsvorsteher eingesetzt. Fehl wiederum ist Mori hörig und somit ist Waibstadt den Truppen von Mori ausgeliefert.
Kaum zu glauben was sich in der kommenden Zeit abspielt. Mori lässt durch seine Truppen ein Haus nach dem anderen räumen, Frauen und Mädchen werden belästigt, Männer verhaftet und misshandelt. Der Pfarrer fährt mehrmals mit dem Fahrrad nach Sinsheim und berichtet der amerikanischen Militärregierung von den Gegebenheiten aber es wird nicht reagiert.
Die Situation spitzt sich zunehmend zu. Eines Abends berichtet Irmgard Laga, die älteste Tochter von August Rieser, von einem neuen Mord. In den Abendstunden war Mori vor ihrem Haus vorgefahren und hatte einen Mann auf den Kühler gebunden. Dieser wurde losgemacht und in den Keller gestoßen. Später wurde er herausgeholt und musste im Garten sein eigenes Grab schaufeln. Über Nacht wurde er von den Truppen Moris im Keller derart misshandelt, dass er verstarb. Wie sich später herausstellen sollte, handelte es sich um den Schulrat Werner aus Mannheim, der zu dieser Zeit in Daisbach lebte.
Dem Pfarrer ist klar. So darf und kann es nicht weitergehen! Er erstattet sofort Anzeige bei dem Landrat wegen dem Mord und beginnt selbst zu recherchieren. Ist Mori tatsächlich ein Franzose? Das kann doch alles nicht stimmen. Durch einen Rechtsanwalt erfährt der Pfarrer schließlich, dass Mori zuletzt in Helmhof gelebt hat und davor als SS Angehöriger für das Lager in Hochhausen eingekauft hat. Auf diese Erkenntnis hin kommt Kaufmann Henk aus Heidelberg nach Waibstadt. Auch er möchte nun wissen, wer genau Mori ist – denn er ist ein Verwandter von Dr. Link, der ebenfalls durch Moris Truppen verhaftet wurde. Er fährt nach Helmhof und trifft dort auf Mori, der zufällig ebenfalls dort ist. Und dieser schöpft direkt Verdacht und lässt den Kaufmann samt seinem Chauffeur direkt verhaften, misshandeln und in den „Mordkeller“ werfen. Aber die beiden haben Glück und können durch Schreie auf sich aufmerksam machen.
Wieder ist es Irmgard Laga. Sie informiert den Pfarrer. Und dieser reagiert sofort. Er fährt trotz Ausgangssperre und aufgestellter Posten nach Sinsheim und spricht mit der Militärregierung. Es kann so nicht weitergehen. Und entweder greift die Militärregierung endlich ein oder die Waibstadter werden selbst in den Kampf gegen Mori ziehen. Endlich reagiert der Kommandant. Er selbst fährt noch am Abend nach Waibstadt und befreit den Kaufmann und weitere Personen.
Mori wird verhaftet, Fehl abgesetzt! Nun endlich ist Waibstadt befreit.
Mittlerweile dämmert es und es ist fast 20 Uhr. Die letzten Stunden sind im Flug vergangen und wie gebannt sitzen wir auf der kleinen Bank in Ottmar Lehmanns Büro. Das Ende des Krieges in Waibstadts, die Besetzung und die Schreckensherrschaft von Mori, das darf nicht in Vergessenheit geraten – da sind wir uns mit Ottmar Lehmann einig.
Derzeit erstellt er gemeinsam mit seinem Enkel Kurzfilme über die Geschichte von Waibstadt. Wir freuen uns schon darauf, wenn diese fertig sind – wir werden diese sicherlich anschauen. Und wir sollen euch allen mitgeben, dass Ihr auch alle gerne kommen könnt, wenn die Filme gezeigt werden und dort eure Fragen zum Kriegsende in Waibstadt stellen könnt.
Vielen Dank an dieser Stelle an Ottmar Lehmann für seine Offenheit und die Möglichkeit auf seine Aufzeichnungen zugreifen zu dürfen. Dieser #derkraichgauistmehr Bericht wird uns für immer in Erinnerung bleiben.
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Liebe Grüße
Alina und Sarah
Das ist alles unglaublich…..meine Mutter hat mir oft von diesem “Mori” erzählt und dass auch nein Opa von ihm und seiner Truppe misshandelt und geschlagen wurde. Respekt an euch beide dass ihr euch damit so intensiv auseinandersetzt und veröffentlicht vielen Dank für euer Engagement